Kunstverein Rosenheim: Kunstpreis, Laudatio für Keiyona C. Stumpf (2019), Dr. Ulrich Schäfert
Das stört, das ist laut, das regt auf, das ist ein wenig kitschig, das ist irgendwie ekelig, das geht nicht glatt durch...
So war es auch für uns als Jury für den Kunstpreis der Jahresausstellung. Da waren viele starke Positionen dabei, stimmige Positionen, durchdachte Positionen. Aber diese eine Position regte uns irgendwie auf, eine Position die sich nicht auf sicherem Terrain bewegt. Die schön und üppig ist und zugleich kitschig und ekelig. Die Widersprüchlichkeit in sich vereint. Eine Arbeit, die herausragt dadurch, dass sie viele Denkräume und Assoziationen eröffnet.
Ein späterer Busenfreund ist einem oft auch nicht auf Anhieb sympathisch - irgendetwas regt einen an ihm auf und dann erst erkennt man, dass einen die Qualitäten des anderen berühren, vielleicht gerade weil er oder sie anders ist, ganz anders als man es erwarten würde oder man selber ist, obwohl man eigentlich doch immer die Bestätigung der eigenen Position wünschen würde. Frau Keiper berichtete beim Jurieren von einem eben zu Ende gegangenen Museumssymposium auf dem eine zentrale Erkenntnis war: Auftrag eines Museums und von Kunstausstellung ist es Differenzerfahrung zu ermöglichen: - nicht immer nur mit dem, was man eh schon kennt und mag, sondern etwas Neues, das einem fremd ist - erst so kann sich Toleranz entwickeln und Freude über eine Vielfalt in dieser Welt. Und nach dieser Auseinandersetzung kann das so Ärgerliche dann Busenfreund werden und den eigenen Horizont erweitern. Und so heißt sie auch die prämierte Arbeit: „Bosom Body“ – Busenfreund bzw. -freundin, die Nummer 104 im Katalog. Ganz herzlich dürfen wir Keiyona Constanze Stumpf für ihre Arbeit „bosom body II“ zum Kunstpreis des Kunstvereins Rosenheim 2019 gratulieren!
Keiyona Constanze Stumpf wurde 1982 geboren, lebt und arbeitet bei Augsburg und in München. 2011-2016 studierte sie freie Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München und schloss ihr Studium mit dem Diplom in der freien Klasse Markus Karstieß (ehemals Prangenberg) ab. In ihrer jungen Künstlerinnenkarriere wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet: 2018 erhielt sie den Kunstpreis des Landkreises Augsburg, 2017 den Debutantinnenpreis von Gedok München und den Kunstpreis des Kunstvereins Aichach. Ebenfalls 2017 bekam sie ein Stipendium für Bildende Kunst der Stadt München für ein Porzellanprojekt.
Lassen Sie uns das prämierte Werk näher betrachten:
Vielschichtigkeit liegt bereits im Titel: „bosom buddy“ heißt übersetzt Busenfreund*in. Hier aber heißt es: bosom body: also wörtlich „Busenkörper“ wohl ein Wortspiel das sich bezieht auf den Körper als Busenfreund– als Freund in all seiner Widerspenstigkeit und Verletzlichkeit: So öffnet sich bei dieser Keramik „bosom body II“ auf den zweiten Blick scheinbar ein Rippenbogen und lässt in einen fantastisch, surrealen mit vielen Strukturen gefüllten Brustkorb blicken aus dem Anemonen und Muscheln zu wuchern scheinen und von dem etwas üppig herabhängt das an Rosenkränze oder Gebetsschnüre erinnert.
Die Arbeit reflektiert Prozesse der Natur wie Wachsen und Vergehen, Ordnung und Chaos.
Abstraktion und Gegenständlichkeit stehen in fruchtbarer Spannung zueinander: wildwuchernde, variantenreiche Symmetrie in barocker Pracht auf der einen Seite und eine Vielfalt gegenständliche Assoziationsanker auf der anderen. Da vereinen sich Gegensätze:
Schauder und Schönheit
Fleisch und Frömmigkeit
Korallen und Körperöffnungen
Aliens und Arabeske
Rocaille und Rätsel
Das Ganze scheint aus Fleisch, aus Haut zu bestehen und geht zugleich unter die Haut.
All das ist in üppiger, lauter Schönheit vorgetragen. Zugleich liegt in der fleischlichen Verletzlichkeit auch größte Wahrheit. Hier trifft sich das uralte Begriffspaar Schönheit und Wahrheit zu einem mutigen Stell-Dich-Ein. Die Künstlerin selbst deutet in einem Interview an, dass für sie sie die Wahrnehmung von Schönheit durchaus auch Konsequenzen hat: Die Menschen, sagt sie, haben „eine Art Sinn für das Schöne, und daraus resultiert, dass wir eine gewisse Ethik in uns haben“.
Handwerklich ist die Arbeit in Perfektion aus einem Stück in Keramik gebrannt, ergänzt durch die Ketten, die auf Silikonschnur gefädelt sind. Die warmtonig ockerfarbenen und roten Glasuren lassen an die Pracht barocken Porzellans denken.
Diese Plastik begegnet einem als ambivalentes und doch verlässliches Wesen. Dem „bosom body“ kann ich ehrlich und nackt entgegentreten auch mit meinen nicht so perfekten Seiten, mit all meiner Kreatürlichkeit. Die zerbrechlichen Naturstrukturen lassen einen auch an die Gefährdung unserer Natur denken.
Elisabeth Mehrl hat es im Nachgang an die Jurierung gut ins Wort gebracht: „Auch finde ich das Material ihrer Arbeit sehr angemessen für den Inhalt – ‚eingefrorener Sehnsuchtszustand‘, der zwar einen vehementen Auftritt zelebriert, aber gleichzeitig seine Zerbrechlichkeit (durch die Materialität) spüren lässt.“
Herzliche Gratulation an die Preisträgerin.